„Spiritual Care geht uns alle an! – Spiritualität in der gesundheitlichen Versorgung“

Tagungsbericht zum Parlamentarischen Abend am 13.03.2024 per ZOOM

Zum Thema „Spiritual Care geht uns alle an! – Spiritualität in der gesundheitlichen Versorgung“ fand am 13. März von 19:00 Uhr bis 20.30 Uhr ein Digitaler Parlamentarischer Abend statt.

Rund 250 Personen waren der Einladung des Präsidenten der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, der Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, der Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Prof. Dr. med. Claudia Bausewein sowie des Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes, Prof. Dr. med. Winfried Hardinghaus, gefolgt.

Präsident Rüdiger Schuch eröffnete den Abend, begrüßte die Mitwirkenden aus den Fachverbänden, seitens der Träger, Förderer, Wegbegleiter und die zahlreichen Gäste aus der Praxis, Wissenschaft und Politik.

In seinem Eingangsstatement betonte der Diakonie-Präsident, dass Spiritual Care keine Randerscheinung ist und erinnerte daran, dass sich seit den 1990er Jahren eine Bewegung für eine neue Kultur in der Begleitung Sterbender formiert hat, die darauf abzielt, dem Sterben Leben zu geben. Er verdeutlichte, dass Spiritualität ein integraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung ist und diese Dimension ernst genommen und stets berücksichtigt werden muss. Trotz der Weiterentwicklung in der Palliativmedizin und Hospizbewegung werde noch zu oft übersehen, dass schwerkranke Menschen auch spirituelle Unterstützung benötigen. Dieser „Blinde Fleck“ in der Versorgung verdeutlicht die Notwendigkeit, diese Themen in die breite Öffentlichkeit zu bringen. Daher, so folgert der Diakonie-Präsident, sei eine Sensibilisierung und Ausbildung vonnöten: Das Gesundheitspersonal müsse befähigt werden, auf die existenziellen Fragen und Bedürfnisse einzugehen, um eine ganzheitliche Betreuung zu gewährleisten. Abschließend stellte er die Bedeutung des SpECi-Projekts als eine erfolgreiche Initiative zur Stärkung von Spiritual Care(-Kompetenzen) heraus: Im Rahmen der Projektlaufzeit ist es u.a. gelungen ein 40h-Curriculum zu entwickeln, zu erproben und wissenschaftlich zu evaluieren, eine S-1-Leitlinie als Handlungsempfehlung zur Implementierung von Spiritual Care im Gesundheitswesen zu erarbeiten sowie Vorarbeiten für einen Expertenstandard Spiritual Care in Pflegeberufen zu leisten, die zur Beratung an das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) übergeben wurden. Last but not least haben sich alle beteiligten Verbände anlässlich dieses Abends auf ein Positionspapier „Spiritual Care – eine unterschätzte Ressource im Gesundheitswesen“ verständigt, damit ihre gemeinsame Haltung zum Ausdruck gebracht und die Öffentlichkeit für die Wichtigkeit von Spiritual Care in der Gesundheitsversorgung sensibilisiert wird.

Auf diese Bestandsaufnahme und erste Würdigung des Projekts folgten drei Impulsvorträge aus unterschiedlichen Perspektiven:

Bruno Schrage, Referent für Caritaspastoral im Diözesan-Caritasverband Köln, wählte einen ganz persönlichen, berührenden Zugang, als er ausgehend von der Diagnosestellung der unheilbaren Krebserkrankung einer nahen Verwandten aufzeigte: Es ging immer nur um das Körperliche! – die verdrängte Kommunikation“. Sehr eindrücklich zeigte Schrage, wie sehr die Diagnose Krebs Menschen allein und überfordert zurücklässt – ohne angemessene emotionale Unterstützung. Selbst im Hospiz fehlt oft die Sprachfähigkeit, um existenzielle Fragen und Sorgen aufzugreifen. Symbolische Handreichungen, wie ein Stoffherz können Hilflosigkeit, nicht Hilfe, ausdrücken. Betroffene wie Angehörige fühlen sich vernachlässigt, da die Betreuung oft nur auf das Körperliche ausgerichtet ist und die Frage versäumt wird, was für sie wichtig ist, was sie trägt und hält. Das SpECi-Projekt und die Qualifizierung in einem 40h-Kurs ermöglicht es Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, Wahrnehmungs- und Gesprächskompetenzen (weiter) zu entwickeln, um zu ermöglichen, auf die existenziellen Bedürfnisse einzugehen und das zu realisieren, was den Betroffenen, ihren Angehörigen und auch ihnen selbst am Herzen liegt.

Dr. med Marianne Kloke widmete sich in ihrem Impulsreferat dem Erfordernis von Spiritual Care in einer umfassenden Patient:innenversorgung“. Die Medizinerin und „Senior Advisor“ im SpECi-Projekt verdeutlichte mit viel Herzblut die dringende Notwendigkeit einer umfassenden Versorgung, die Spiritualität als vierte Dimension der Gesundheit einschließt, um auf die großen Fragen des Lebens adäquat eingehen zu können. Es bedarf engagierter Fachkräfte, die sich für diese Aufgabe verantwortlich fühlen, kompetent sind und einfühlsam reagieren können. Darüber hinaus sind strukturelle Bedingungen erforderlich, um Spiritual Care-Angebote zugänglich und akzeptiert zu machen, einschließlich der routinemäßigen Erfassung und Dokumentation. Ein organisatorischer Rahmen muss geschaffen werden, der Spiritual Care als integralen Bestandteil ganzheitlicher Versorgung begreift und entsprechend Raum bietet. Es wurde deutlich, dass die großen Fragen des Lebens nicht nur am Lebensende auftauchen, sondern kontinuierlich Berücksichtigung finden müssen. Kloke gab deutliche Hinweise auf Probleme und Versäumnisse, wie ungeklärte Zuständigkeiten, mangelnde Kompetenzen sowie strukturelle und organisatorische Defizite. Besonders auffällig war die Diskrepanz zwischen dem erkannten Bedarf an Spiritual Care und den vorhandenen Rahmenbedingungen, die oft nicht den Anforderungen entsprechen. Trotz des starken Wunsches vieler Pflegekräfte, sich um die spirituellen Bedürfnisse von Patient:innen zu kümmern, fehlen oft die erforderlichen Strukturen und Ressourcen. Es besteht ein dringender Handlungsbedarf, um diese Lücke zwischen Bedarf und Realität zu schließen und eine ganzheitliche Versorgung sicherzustellen. Sie endete mit dem Appell: „Lassen wir Menschen nicht alleine, sondern begleiten sie kompetent auch oder gerade in spirituellen und existenziellen Nöten“ und rief zum Mittun aller auf.

Als dritte Impulsgebende fragte Dr. rer. nat. Ferya Banaz-Yaşar: „Befähigt zu Spiritual Care – was bringt Spiritual Care in der Klinikpraxis?“ Mit einem Fokus auf die muslimische Perspektive bot die Koordinatorin in der Hospizarbeit am Universitätsklinikum Essen einen tiefen Einblick in die Herausforderungen und Chancen der spirituellen Betreuung im Klinikalltag. Dabei zeigte sie deutlich, dass tagtäglich Patient:innen aus verschiedenen Regionen Deutschlands und sogar der ganzen Welt versorgt werden, mit vielfältigen religiösen und kulturellen Hintergründen. Trotz dieses Reichtums an Diversität zeige sich jedoch, dass der zeitliche und personelle Rahmen oft nicht ausreicht, um auf existenzielle Fragen einzugehen. Ein weiteres Hindernis ist die Unsicherheit des Personals im Umgang mit fremden Religionen und Kulturen. Besonders hob Banaz-Yasar die Rolle von Spiritual Care hervor, um ehrenamtliche Mitarbeitende dazu zu befähigen, existenzielle Fragen und religiöse Bedürfnisse sensibel anzusprechen. Dabei wurden Themen wie das Gesundheitsverständnis aus islamischer Sicht und religiöse Rituale am Lebensende behandelt. Anhand eines Fallbeispiels verdeutlichte sie anschaulich die Wichtigkeit, kultur- und religionssensible Bedarfe zu erkennen und betonte die Notwendigkeit, Spiritual Care in die Weiterbildung von (Pflegefach)Personal zu integrieren, um eine kontinuierliche und hochwertige ganzheitliche Begleitung in der Klinik zu gewährleisten.

Sind wir bereit an diesen Bedingungen und Zuständen etwas zu ändern?, fragte Christian Petzold und öffnete als Moderator des Parlamentarischen Abends wenig später die Podiumsdiskussion mit sechs hochkarätigen Vertretern aus den Wohlfahrtsverbänden (Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes und Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland), den Fachverbänden (Prof. Dr. Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin sowie Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes) und dem Deutschen Bundestag (Dr. Kirsten Kappert-Gonther, MdB, amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages und Hermann Gröhe, MdB , stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion.)

Es folgte eine sehr dichte, tiefgründige Diskussion, in der von allen Vertreter:innen die Notwendigkeit betont wurde, Fachlichkeit zu ermöglichen und im Gesundheitswesen Tätige in Spiritual Care zu qualifizieren, um einen Gesprächsraum für spirituelle und existenzielle Fragen und Nöte zu schaffen und Menschen die wertvolle Ressource Spiritualität nicht vorzuenthalten. Diakonie-Präsident Schuch sieht die Wohlfahrtsverbände in einer Vorreiterrolle und es gelte einen langen Atem zu zeigen sowie Wege zu finden, die Mitarbeitenden entsprechend zu rüsten.

Prof. Dr. Claudia Bausewein und Prof. Dr. Winfried Hardinghaus erinnerten an die vier Dimensionen des Total-Pain-Konzepts, wonach die spirituelle Dimension automatisch mitbedacht werde. Es gehe um eine Haltung in der Begegnung miteinander. Daher sei es wichtig, Menschen zu ermutigen, ihre spirituellen und existenziellen Fragen zu stellen, und es gelte, einen unterstützenden Rahmen dafür schaffen. Durch Qualifizierungsmaßnahmen wie SpECi mit Sensibilisierung, Wahrnehmung und Unterstützung könne erreicht werden existenzielle und spirituelle Not in einer oft sehr handlungsorientierten Medizin berücksichtigen zu lernen.

Dr. Kappert-Gonther unterstrich die Bedeutung von Spiritual Care als einen fundamentalen Ansatz, der dabei helfen kann, aus schwierigen Situationen herauszukommen. Es geht um Suche, Beziehung und Verbindung und das Wissen von Schwerkranken, „ich bin auf meinem beschwerlichen Weg nicht allein“. Sie betonte, dass Spiritual Care den Betroffenen das Gefühl vermittle, es ist jemand da, der ihnen zuhört und sie unterstützt. Diese Form der Unterstützung ist nicht nur für die Betroffenen und die Mitarbeitenden von großer Bedeutung, sondern trägt auch dazu bei, das soziale Gefüge in unserer Gesellschaft zu stärken. Häufig gehe es nicht nur um tiefgreifende existenzielle Fragen, sondern um das Wahrnehmen kleinerer Aspekte von seelischer Not. Hermann Gröhe hob hervor, dass es um die erforderliche Qualifikation von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen gehe und darum, Räume für Gespräche zu schaffen. In kirchlichen Einrichtungen solle Spiritual Care ein Proprium sein.

In diesem Zusammenhang wurden auch Fragen nach einem Umgang mit Selbsttötungs- und Tötungsassistenzwunsch mitdiskutiert und Spiritual Care eine wichtige präventive Rolle zugeschrieben. Gemeinsames Ziel solle es sein, die spirituelle Hilfedimension und damit Spiritual Care flächendeckend in die Versorgung zu implementieren.

Dies griff auch Eva Maria Welskop-Deffaa in ihrem Abschlussstatement wieder auf und schrieb stellvertretend für alle Beteiligten drei Dinge in das Pflichtenheft: Im Kern von Spiritual Care stehen Menschen und ihre Bedürfnisse. Es ist wichtig, den Kompetenzaufbau verschiedener Berufsgruppen zu fördern und ihre eigenen spirituellen Bedürfnisse zu stärken, damit sie sich und anderen in spirituellen und existenziellen Situationen der Krise und Not unterstützen können. Dies gilt sowohl für die Patient:innen als auch für ihre Angehörigen, die auf einfühlsame Ansprache ihrer Bedürfnisse angewiesen sind. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, Bedingungen und Strukturen zu schaffen, die es ermöglichen, Spiritual Care in die Praxis umzusetzen und Orte der offenen Kommunikation zu etablieren. Zusätzlich müssen organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden, um eine institutionelle und nachhaltige Umsetzung von Spiritual Care zu gewährleisten.

Norbert Killewald, Geschäftsführer der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW, bescheinigte dem „SpECi-Projekt“ das in 50-Jahren der Fördergeschichte wohl erfolgreichste Projekt gewesen zu sein, das bereits während der Projektlaufzeit bemerkenswerte Ergebnisse erzielt hat.

Weitere Informationen:

Positionspapier

Aufzeichnung zum Parlamentarischen Abend beim YouTube-Kanal der Diakonie Deutschland