Eindrücke vom Fachtag „Spiritualität – die unterschätzte Ressource“
Der Schwerpunkt des Fachtags am 25. Mai 2023 lag auf der Bedeutung von Spiritualität als Ressource im Gesundheitswesen. Unter der Moderation des Palliativmediziners Prof. Dr. med. H. Christof Müller-Busch wurden neben den Teilnehmenden im Auditorium des Hotels Aquino in Berlin über 300 Personen digital an den Bildschirmen für das Themenfeld Spiritual Care und das Projekt „Spirituelle Begleitung am Lebensende (SpECi)“ informiert und sensibilisiert.
In seinem Vortrag konzentrierte sich der Ethiker und Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel auf die Bedeutung von Spiritualität im Kontext von Palliativversorgung. Neben einer ersten begrifflichen Einordnung ging er der These nach, dass die Vernachlässigung der geistig-seelischen Dimension der Patient:innen historisch auf den Aufstieg der Wissenschaften zurückzuführen ist. Die beeindruckenden Erfolge der Medizin haben jedoch gleichzeitig zu einer materialistisch begrenzten Sichtweise auf den Kranken geführt. Dadurch sei die ganzheitliche Sichtweise auf Heilung und Heil gemäß dem christlichen Verständnis verloren gegangen, obwohl die Gesundheitsversorgung gerade daraus hervorgegangen ist. Aus seiner bewusst christlich gefärbten Perspektive hob er die Bedeutung der spirituellen Dimension als Bereicherung für Ärztinnen und Ärzte und das pflegerische Handeln deutlich hervor und appellierte dafür, das ganzheitliche Bild des Menschen in der gesundheitlichen Versorgung wieder in den Blick zu nehmen. Insbesondere die Palliativmedizin habe immens dazu beigetragen, die Sichtweise der kurativen Medizin zu verändern und die spirituelle Dimension miteinzubeziehen. Der kranke Mensch benötige weitaus mehr als nur seine psychosoziale Integration. Er trage eine wichtige Ressource in sich, die zur Sprache gebracht werden sollte.
Prof. Dr. med. Arndt Büssing vom Lehrstuhl für Lebensqualität, Spiritualiät und Coping der Universität Witten/ Herdecke stellte nachfolgend Befunde aus der wissenschaftlichen Begleitstudie im Projekt SpECi vor. Zuvor betonte er jedoch, dass die Untersuchungen und die Schulungsmaßnahme unter den extrem erschwerten Bedingungen der Corona Pandemie durchgeführt werden müssen. In drei Wellen wurden 91 Weiterbildungsteilnehmende, 774 Patient:innen/ Bewohner:innen und 358 Zu-/Angehörige befragt. Er zeigte, dass die Weiterbildungsmaßnahme mit dem SpECi-Curriculum dazu geführt hat, dass sich 85% der befragten Fachkräfte deutlich häufiger auf die spirituellen Bedürfnisse der Patient*innen / Bewohner*innen eingehe als früher und dass sie sich sicherer darin fühlen, auf die spirituellen Bedürfnissen schwerkranker und sterbender Patienten einzugehen. Aber dennoch wünschen sich 87% auch nach dem Kurs immer noch mehr Zeit für Gespräche über spirituelle Bedürfnisse. Insgesamt sei es zu einer Kompetenzerweiterung in mehreren Dimensionen gekommen. Er hob hier neben bereits vorhandenen Kompetenzen wie Wahrnehmungskompetenz und Gesprächsführungskompetenzen die Weiterentwicklung der Dokumentationskompetenz, Selbsterfahrungskompetenz und des Empowerments im Zuge der Weiterbildungsmaßnahme hervor.
Während Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel den Bedeutungsgehalt der spirituellen Dimension und den Ressourcencharakter verdeutlicht hatte, fügte Prof. Dr. med. Arndt Büssing an, dass es den Betreuenden in der Praxis trotz großem Interesse deutlich an angemessenen Zeit- und Personalmitteln für die spirituelle Betreuung mangelt. Dieser Mangel führe dazu, dass „die Ideale derer, die bereits am Limit arbeiten, ausgebrannt werden“, so Büssing.
Nach einer kurzen Pause schloss sich die Podiumsdiskussion mit Vertretern der Fachverbände, Fachvertretern aus Medizin, Theologie und Politik, geführt in zwei Blöcken á 45 Minuten an. In der ersten Runde diskutierten mit Dr. Jörg Kruttschnitt, Prof. Dr. med. Ulrich Wedding (Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II (Palliativmedizin) am Universitätsklinikum Jena) und Univ.-Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel ein Jurist und zwei Ärzte über den Stellenwert von Spiritualität. Sie bezeichneten das SpECi-Projekt als „Warnsignal an Medizin und Gesellschaft“ und regten die Wiederentdeckung der Ressource an. Dazu sei es von Nöten, die nötigen Rahmenbedingungen einzufordern, um in die praktische Umsetzung kommen zu können.
In der zweiten Einheit brachte der Moderator Prof. Müller-Busch die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB, Prof. Dr. Beate Hofmann (Bischöfin Kurhessen-Waldeck und Aufsichtsratsvorsitzende des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung e.V.), Pfarrer Christian Heine-Göttelmann (Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.), Prof. Dr. med. Winfried Hardinghaus (Vorstandsvorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands e.V.) und Andreas Müller (Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin) miteinander in die Diskussion. Betont wurde die Notwendigkeit, Versorgende/ Betreuende in Spiritual Care zu qualifizieren, um einen Gesprächsraum für spirituelle und existenzielle Fragen und Nöte zu schaffen und Menschen die wertvolle Ressource Spiritualität nicht vorzuenthalten.
Den Fachtag eröffnet hatte Dr. Jörg Kruttschnitt, Vorstand im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., der neben der Begrüßung der Mitwirkenden und Teilnehmenden zugleich einen wichtigen Meilenstein im Projekt ankündigte: Das Fachbuch „Spiritual Care & Existential Care interprofessionell. Handbuch spiritueller und existentieller Begleitung in der Gesundheitsversorgung“ mit 50 hochkarätigen Beiträgen, welches im Open Access–Format im Springer Verlag erscheinen wird. Mit Hans-Dieter Weigardt (Geschäftsführer der KEM), Univ.-Prof. Dr. Jan Ehlers (Vize-Präsident der Universität Witten/Herdecke) und Norbert Killewald (Vorstand der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW) lenkten die Grußwortgeber auf die inhaltlichen Vorträge hin und bereiteten den Weg zu einem gelungenen Fachtag.
Der Fachtag kann weiterhin über den YouTube-Kanal der Diakonie Deutschland abgerufen und nachträglich angeschaut werden.
Am 15. September 2023 findet unter dem Titel „Spiritual Care heute“ der zweite Fachtag im Projekt SpECi statt. Anmeldungen werden ab sofort entgegengenommen.